Trainieren bei Krankheit – rausschwitzen oder lieber pausieren und erholen?
Folgendes Szenario: Dein altbekanntes Fitnessstudio. Du wärmst dich gerade auf und bist bereit für ein schweißtreibendes Workout. Dann plötzlich kommt Herr „Schniefnase“ vorbei – Hustend, schniefend und schwer atmend. Und versprüht seine Keime über die Bänke, Hanteln und Geräte. Sollte er nicht lieber Zuhause sein und sich erholen? Und noch dazu seine Viren nicht im Studio verteilen? Vielleicht aber hat Herr „Schniefnase“ einen Plan. Vielleicht kann er die Krankheit einfach rausschwitzen und gleichzeitig so sein Immunsystem stärken?
Was ist nun die richtige Vorgehensweise – Lasst es uns herausfinden:
Das Immunsystem – eine kurze, keimige Einführung
Jeden einzelnen Tag finden Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten den Weg zu uns. Die bekanntesten Eindringlinge sind die der oberen Atemwege: Erkältung, Husten, Grippe, Nebenhöhlenentzündung, Mandelentzündung, Halsentzündungen und Mittelohrentzündung. Zum Glück ist unsere Immunsystem gut ausgebildet und kämpf hart gegen diese fremdartigen Attacken an. Ohne dieses ausgeklügelte System, würden wir ein Leben lang nur krank im Bett liegen – danke!
Unsere Immunzellen entstehen in unserm Knochenmark und Thymus. Sie interagieren mit Eindringlingen durch die Lymphknoten, die Milz und Schleimhäute. Was bedeutet, dass der Erstkontakt im Mund, Darm, Lunge und den Harnwegen zustande kommt.
Die angeborene und adaptive Immunantwort
Unser angeborenes (natürliches) Immunsystem ist unsere erste unspezifische Verteidigungslinie. Es beinhaltet:
- Physikalische strukturelle Barrieren (z.B. Schleimhaut der Nasenweg
- Chemische Barrieren (z.B. Magensäure)
- Schützende Zellen (z.B. weiße Blutkörperchen, die schädliche Eindringlinge zerstören können)
Das Immunsystem entwickelt sich in unserer Kindheit. Interessanterweise tendieren Frauen dazu eine insgesamt stärkere, natürliche Immunantwort zu haben. (Vielleicht ist das der Grund, warum sie bei einer Erkältung nicht so sehr leiden wie Männer ;-) Allerdings leiden sie dafür häufiger an Autoimmunkrankheiten.)
Und dann wäre da noch das adaptive (erworbene) Immunsystem. Dies ist ein anspruchsvolleres System, das aus hochspezialisierten Zellen und Prozessen besteht. Es eilt zur Hilfe, wenn unser natürliches Immunsystem besiegt wurde. Das adaptive System hilft uns, Infektionen zu bekämpfen, indem es Krankheitserreger davon abhält sich anzusiedeln und Mikroorganismen wie Bakterien und Viren zerstört.
Stichwort T- und B-Zellen: Diese spezialisierten weißen Blutzellen reifen im Thymus bzw. Knochenmark. Und glaubt es oder nicht, sie haben ein Art Erinnerungsvermögen. Aber genau dieses macht sie so effektiv. Sobald sie einen bestimmten Erreger (wieder-) erkennen, arbeiten sie noch effektiver, um ihn zu bekämpfen. Das ist gemeint, wenn wir von einer „Stärkung des Immunsystems“ sprechen.
Habt ihr euch jemals gefragt wieso Kinder sich öfters mit Virusinfektionen anstecken als Erwachsene? Sie hatten noch nicht so viel Zeit ihre Krankheitserfahrungen zu machen und deshalb ist das adaptive Immunsystem weniger ausgereift.
Darüber hinaus bildet die adaptive Immunantwort die Grundlage für Impfungen. Gib deinen Körper eine witzige Dosis eines Erregers und er wird wissen was er zu tun hat, wenn er mit einer größeren Dosis konfrontiert wird.
Nun aber:
Solltest du während einer Krankheit trainieren?
Um eins klarzustellen: es gibt einen Unterschied zwischen „trainieren“ und „körperliche Bewegung“.
Ein strukturiertes Trainingsprogramm, bei dem du schwer atmest, schwitzt, hart arbeitest und dich schwächt, löst eine Stressreaktion in deinem Körper aus. Wenn wir gesund sind, kann unserer Körper leicht drauf reagieren und sich dem Stress anpassen. Mit der Zeit ist diese progressive Adaption das, was uns stärker und fitter macht.
Aber: Wenn wir krank sind ist der Stress eines anspruchsvollen Trainings mehr als unsere Körper bewältigen kann.
Dennoch ist ein Erkältungsgefühl kein Grund sich ins Bett zu verkriechen. Sofern du nicht komplett flach liegst, sollte dir leichte Bewegung nicht schaden – Im Gegenteil: sie kann sogar hilfreich sein.
Was genau meine ich mit leichter Bewegung: Spazierengehen, Radfahren mit geringer Intensität, leichte Gartenarbeit, Yoga, Thai Chi etc.
Tatsächlich wurde bewiesen, dass all diese Aktivitäten das Immunsystem stärken. Sie sind nicht intensiv genug, um ernsthaften immunkompromittierenden Stress auszulösen. Stattdessen helfen sie oft uns besser zu fühlen und schneller zu regenerieren. Ausgeführt mit niedriger Herzfrequenz und im Freien, scheinen diese Aktivitäten richtig gut für uns zu sein.
Aber was ist nun mit „trainieren“?!
Leichte Bewegung und trainieren sind gegensätzlich. Zusätzlich sind nicht alle Trainings gleich. Es gibt „low intensity“ (niedrige Intensität) und „high intensity“ (hohe Intensität) Trainingsprogramme sowie all die Arten dazwischen. Aber was niedrig für den einen bedeutet ist hoch für den anderen. Wie kann man also feststellen welcher Intensitäten-Level als anstrengend gilt?
Lass dein eigenes Empfinden und Maß an Anstrengung deine Richtlinie sein. Im Allgemeinen wird ein niedriges oder moderates Training dir Energie verleihen. Während ein hoch intensives Training dich ausgelaugt und heim kriechen lässt. Wenn du also krank bist, ist es ratsam, dass „heim kriechen“ zu vermeiden.
Wie Bewegung das Immunsystem beeinflusst
Bewegung spielt sowohl im angeboren wie adaptiven Immunsystem eine Rolle:
- Nach einer anhaltenden intensiven Trainingseinheit sind wir anfälliger für Infektionen. Zum Beispiel kann ein Marathonlauf das adaptive Immunsystem vorübergehend bis zu 72 Stunden schmälern. Aus diesem Grund werden so viele Ausdauersportler nach den Rennen krank.
- Eine kurze, kräftige Trainingseinheit führt jedoch nicht zu demselben immunsuppressiven Effekt. Darüber hinaus kann nur eine moderat durchgeführte Trainingseinheit tatsächlich die Immunität bei gesunden Menschen erhöhen.
- Interessanterweise stärkt kontinuierliches Widerstandstraining (Krafttraining) das angeborene Immunsystem, wohingegen anhaltende, moderate Bewegung das adaptive beeinflusst.
Lange Rede kurzer Sinn:
- Konsequente, moderate Bewegung und Krafttraining kann das Immunsystem im Laufe der Zeit stärken. Also solang ihr gesund seid, auf jeden Fall anstrengende Trainingseinheiten absolvieren.
- Aber einzelne hochintensive Einheiten oder langandauernde Übungen können die Immunfunktion stören. Also solltet ihr es bei Krankheit langsam angehen lassen.
- Bei Erkältungen/Halsentzündungen (kein Fieber oder Gelenk-bzw. Muskelschmerz) ist eine leichte Bewegung hilfreich und kann vom Organismus toleriert werden. Macht nichts kraftvolles, energiegeladenes oder zu dynamisches, egal wie lang es dauert.
- Hast du eine akute Erkrankung mit Fieber, erhöhtem Puls, Erschöpfungserscheinung, Erbrechen, Durchfall, Muskel- oder Gelenkschmerzen oder erweiterte Lymphknoten – ab ins Bett und ruh dich aus. Wenn du eine ernsthafte Virusinfektion hast und trainierst kann der Schuss nach hinten losgehen.
Richtlinien fürs Training bei Krankheit
1. Krankheitstag:
Bei Symptomen wie Halsschmerzen, Husten, laufende oder verstopfte Nase nur Übungen mit geringer Intensität ausführen. Kein Training bei Muskel-, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Fieber, Durchfall, Erbrechen oder Unwohlsein.
2. Krankheitstag:
Wenn die Körpertemperatur über 37,5-38 Grad liegt, erhöhter Husten, Durchfall oder Erbrechen vorliegt, sollte nicht trainiert werden. Wenn kein Fieber oder Unwohlsein auftritt und keine Verschlechterung der „oberhalb des Hales“ liegenden Symptome eintritt: leichte Übungen (Puls <120 bpm) für 30-45 Minuten; bei Winter/Regen drinnen.
3. Krankheitstag:
Wenn das Fieber und die Symptome nicht besser werden, geh zum Arzt.
Sollte kein Fieber/Unwohlsein und keine Verschlechterung vorliegen: moderate Übungen (Puls <150 bpm) 45-60 Minuten; bei Winter/Regen drinnen.
4. Krankheitstag:
Keine Verbesserung der Symptome – geh zum Arzt.
Wenn sich die Symptome verbessert haben und das Fieber gesunken ist, 24 Stunden warten, dann weiter mit den Übungen.
Sollten neue Symptome auftreten – geh zum Arzt.
Anmerkung 1: Einige Krankheiten können schwerwiegende Infektionen nach sich ziehen. Wenn du dich also nicht besser fühlst, dann geh zum Arzt.
Anmerkung 2: Fange langsam wieder mit dem Training an, und zwar im Verhältnis zu der Länge deiner Krankheit. Warst du 3 Tage krank, gönn dir 3 Tage um dich langsam wieder an die Übungen zu gewöhnen.
Aktivitäten, die während einer Krankheit empfehlenswert sind:
Spazierengehen, leichtes Joggen bzw. Walken, Schwimmen, Radfahren, Qi Gong, Thai Chi, Yoga.
All diese Übungen sollten mit niedriger Intensität durchgeführt werden, um die Herzfrequenz niedrig zu halten. Wenn möglich sind sie am Besten im Freien bei milden Temperaturen auszuführen. Aber Drinnen geht natürlich auch.
Aktivitäten, die während einer Krankheit vermieden werden sollten:
Schweres Gewichts- bzw. Krafttraining, Ausdauertraining, Intervalltraining, Sprinten, Mannschaftssport, Sport bei hohen Temperaturen.
Kommt gut durch den Winter
Eure Fitness Co
Verwendete Bilder: https://www.pexels.com/
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